Heimtierzoo

  • Post published:24. Oktober 2025

Wer wie ich in einer Kellerwohnung haust, der hat, ob er nun will oder nicht, des Öfteren Gäste aus dem Tierreich. Ich habe mich weitestgehend mit meinen temporären Mitbewohner:innen arrangiert, gebe den Rumkrabelnden, bis ich ihrer überdrüssig werde und sie, eingefangen in Trinkgläsern, wieder der Natur übergebe, auch gerne mal Namen. Bertha, Max, Margarethe, Mina, Ullrich, Knut, Aurelia oder Estelle etwa waren die Weberknechte des letzten Sommers. Mit in kürzester Zeit in eine der acht Wohn/Schlafzimmer- und Küchenecken geknüpften Spinnweben, versuchen die Achtbeiner jeweils ihr Überleben zu sichern. Futter hat es, wenn auf der abschüssigen LANDI-Wiese neben meinem Hauseingang im Sommer ein paar Schafe parkiert werden, durch die explosionsartige Zunahme von Mistfliegen ja genug. Letzteren gebe ich jeweils keine Namen, weil es eh alles nur verdammte Stinkybinkys sind und ich sie normalerweise erbarmungslos niederknüpple, da mir ihr Gesumme, vor allem, wenn ich in Ruhe liegen will, viel zu sehr auf den Kecks geht. Sehr erfreut bin ich hingegen jeweils über den Besuch der zwei getigerten Nachbarskatzen. Wenn sie nicht gerade eingehend die Niesensträssliumgebung erkunden oder auf meiner vor Jahren zusammengezimmerten Palettenbank vor sich hinfläzen, spazieren sie auch gerne mal in meine Wohnung hinein, schauen mich, der dann meist am Esstisch sitzt, erstaunt an, als seien nicht sie, sondern ich der Fremde hier im Umzug und täselen, wenn sie genug gesehen haben, gehorsamst wieder von dannen.

Jüngst hatte ich aber einen Besucher, mit dem ich nun wirklich nicht gerechnet hatte. Als ich vom Klo herkommend in die Küche zurückkehrte, stand in der Mitte des Raumes ein winziges Eidechslein auf dem Boden. Die Eingangstüre war wetterbegingt den ganzen Vormittag hindurch geschlossen gewesen, weshalb ich Miguelito, wie ich das Tierchen sofort betitelte, fragte, wie um alles in der Welt er hier hereingekommen war? Doch Miguelito verharrte – Schock oder Siesta bedingt, das liess sich nicht so genau eruieren – schweigend an Ort und Stelle. Als ich mich ihm dann zu nähern versuchte, trippelte er unruhig ein paar Schrittchen nach links und ein paar nach rechts und ich entschied mich, dass es, so herzig ich Miguelito auch fand, für ihn wohl besser wäre, wenn ich ihn wieder zurück in sein Habitat, zu den Steinstufen meines terrassenartig angelegten Gartens zurückbringen würde. Gesagt, getan, Miguelito liess sich ohne Probleme mithilfe einer Müslischale und einem A4-Karton einfangen und wieder renaturieren. Ich selbst durfte dabei das schöne Gefühl geniessen, am heutigen Tag eine gute Tat vollbracht zu haben.

Nur, wer jetzt denkt, dass das die letzte Begegnung mit Miguelito gewesen ist, der sieht sich getäuscht. Schon am nächsten Tag, das trübe Wetter hatte soeben der Sonne Platz gemacht, stand Miguelito wieder vor mir auf dem Küchenboden. «Holà, Miguelito», sprach ich das Tierchen auf Spanisch an, «auch wieder hier? Nett, dass du mir mit deiner wunderschönen Körperbemalung die Aufwartung machst und mich damit zuverlässig aus meiner Trübsalblasstimmung herausgeholt hast. Nur: Hier gibt es weder viel zu sehen, noch was zu fressen für dich, was eher gegen einen längeren Aufenthalt bei mir spricht.» Miguelito zappelte etwas mit seinen Beinchen und drehte, die Situation abwägend, nervös sein Köpfchen hin und her. Wiederum fing ich ihn ein und entliess ihn bei den Steinstufen. So schnell er konnte, wieselte er erneut in Richtung der Betonspalten. Diesmal sah ich allerdings wie eine grössere Eidechse sich aus dem Schatten der Sitzbank löste und Miguelito in einem Affenzahn hinterherdüste. Obwohl mir bekannt ist, dass Eidechsen von Geburt an selbständig sind und es sich bei der beobachteten Szene eher um eine kannibalistische Beutejagd handelte als um etwas anderes, rufe ich der grösseren Eidechse zuerst ein paar naturromantisierende Sätze hinterher: «Sei nicht zu streng mit ihm, Vatiechse, mir machts nichts aus, dir den kleinen Miguelito immer wieder zurückzubringen, wenn er sich aus dem Staub gemacht hat. Findest du nicht auch, dass das eine gute Übung ist, das Loslassen zu lernen? Einfach mal loszulassen? Dann verschärfe ich, plötzlich erwacht aus meiner hypersozial-weichen Bubble, aber den Ton: «Und wehe du lässt den kleinen Miguelito nicht in Ruhe, du Hobby-Godzilla, dann bekommst du es mit mir zu tun.»