Mir ist aufgefallen, dass ich mich in letzter Zeit im Gespräch mit Freundinnen und Freunden immer häufiger über Dinge des öffentlichen Lebens ärgere und als Folge davon zu einer Brandrede ansetze. Ich war ja schon immer (vor allem als Kind – meine Schwestern können ein Lied davon singen –) leicht entflammbar. Aber diese augenscheinliche Entwicklung hin zum ausgereiften Wutbürger, sie erstaunt mich schon ein wenig. Von einer frühen Altersweisheit, die sich beispielsweise in Form von kleinen, luzid-funkelnden Gedankensprenkeln leise ankündigen dürfte: keine Spur. Nix. Nada. Das ist mir einerseits peinlich. Andererseits… gehen Ihnen diese Menschen, die in den Öffentlichen frech den Raum mit ihren Handys beschallen, nicht auch gnadenlos auf den Sack? Mir drum schon. Ich meine, da ist eine klare Tendenz zu erkennen, oder nicht? Schon mal was von Kopfhörern gehört? Ich mag mich erinnern, dass diese vor noch nicht allzu langer Zeit noch usus waren. Wenn irgendwo das Handy klingelte, dann begannen die Empfänger:innen doch pflichtschuldigst nervös in ihren Hosen- oder Jackentaschen nach ihren verkringelten Ohrstöpseln zu graben, um sie alsbald zum Einsatz zu bringen. Aber heute? Halligalli überall! Es werden Reels gewatcht, Netflix-Serien gebingt, Game-Tipps von Influencern auf Youtube gecatcht, auf dem Weg zur Piste Après-Ski-Musik reingeballert, ganze crazy Businessdeals abgewickelt, Uniseminare discussed oder am liebsten: im Videocall mit Besties das ganze Leben vor allen Anwesenden ausgespreaded und analyzed. Liebe Leute, ich möchte im Fall ganz ernsthaft an all dem please nicht teilhaben. Nicht. Wollen. Ich! Understood? Ich habe meine eigenen Baustellen. Selbst wenn man die Verkehrsmittel «öffentlich» nennt, heisst das noch lange nicht, dass es dort keine Grenzen geben soll. Also bitte: a little more Respekt.
A propos Respekt. Schon mal das Vergnügen gehabt, in den Strudel von Onlinekommentaren hineingezogen zu werden? Ich kann nichts dafür, dass ich seit dem Phillips-Cup 1985 im Wankdorf ein YB-Fan bin. Auch wenn ich nur ganz selten im Stadion bin (was sich aber prima mit Radio Gelb-Schwarz kompensieren lässt, thank God): alles was die Farben einer Hummel betrifft, interessiert und fasziniert mich, ja, betrifft mich persönlich. Das ist wie eine Familie haben. Nicht immer toll, aber man geht durch dick und dünn. Geyoungboyst und veryoungboyst wird gemeinsam. Also grase ich, wenn ich die Gelegenheit dazu habe, verschiedene Zeitungen, SRF Sport, Instagram-Posts oder Fanforen nach Informationen ab. Ich will schliesslich verstehen und einordnen können, was im YB-Kosmos abgeht. Wenn mich der Hafer sticht und mir nach einer tiefergfreifender Analyse ist, spamme ich einen alten Kollegen von mir, der von Fussball mehr versteht, mit Fragen. Er antwortet mir dann jeweils mit supertrockenem Humor, wie er einen bestimmten Spielertransfer, einen zurückliegenden Match oder eine Entwicklung im Management unseres Herzensvereins einordnet. Einmal Ping. Einmal Pong. Dann ist aber Schluss. Fertig.
Nun, ich finde es ja löblich, darf man seine Meinung auf den Online-Pflattformen in Kommentarspalten kundtun. Aber je länger je mehr kommen mir diese vor wie eine fucking Lehrer:innenkonferenz: Selbst wenn bereits alles gesagt ist, muss irgendeine Knalltüte das ganze Themenfeld noch einmal von ganz hinten aufrollen oder unbedingt seinen eigenen Senf, den keine Sau mehr nur ein Gramm interessiert, dazugeben. Heisst: Da wird mit Worten gerungen, es wird gezerrt, gezogen und geschubst, was das Zeug hält. Heisst weiter: Ich ärgere mich als Neo-Wutbürger tatsächlich über all die anderen Wutbürger:innen und deren Mitteilungsneurosen. Spannend. Dabei heisst es doch in einem Sprichwort: «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.» Heisst letztlich für mich persönlich: «Mensch ärgere dich nicht» im App-Store runterladen. Eine Runde spielen. Allein. Gegen alle andern.
Und gut ist.